
Autor: Jens K. Carl
Illustrator: Jens K. Carl
Altersempfehlung: ab 5 Jahren.
Kleine Reihe: Zirkuswelt
Fortsetzung von: Morgel und der kleine Zirkusbär
Diese Morgelgeschichte widme ich dem Alternativen Bärenpark in Worbis und dem Wildkatzendorf in Hütscheroda.
Morgel und der Möchtegernzauberer»Das Telefon klingelt«, ruft Nicole, die neue Tierarzthelferin, welche seit gut zwei Wochen in der Praxis des Herrn Doktor Freund aushilft. Zügig packt der Tierarzt seine antik anmutende Arzttasche zusammen, schnappt seinen Mantel, den Hut und macht sich auf den Weg zum Zirkus. Eine unerwartete BegegnungEs dämmert bereits, als er mit seinem Trabant-Kombi auf dem Rummelplatz ankommt. Erste Regentropfen prasseln hernieder. Die Scheibenwischer versagen ihren Dienst. Hier und da wuseln Zirkusarbeiter aufgeregt umher und mühen sich ab, das Zirkuszelt aufzubauen. Gar nicht so einfach, wenn einem der Wind heftig um die Nase weht, geht es dem Doktor durch den Kopf. Andere wiederum rangieren pitschnass einen Wohnwagen hin und her. Wieder andere warten paffend den Regenschauer ab, um dann Holzbänke und Barrieren für die Manege aus einem klapprigen Materialwagen ausladen zu können. Der heftige Schauer ist fix vorüber, so schnell, wie er gekommen war. Sachte steigt der Tierarzt aus dem Wagen aus und tänzelt gekonnt um die Pfützen herum, hinüber zum Zelt der Tiere, welches abseits gelegen ist. In einer Box gleich neben dem Eingang steht ein elegant anmutender Schimmelhengst mit prunkvoll geflochtener Mähne. Er blubbert leise vor sich hin, als er den Fremden kommen sieht. »Du bist ja ein Hübscher. Wie heißt du?«, fragt der Doktor, als er sich dem Pferd behutsam nähert und an seiner Hand schnuppern lässt. |

Halbblind tänzelt eine alte Elefantendame auf der Stelle und schwingt ihren Rüssel hin und her. Eine schwere Eisenkette hindert sie daran, umherzulaufen. Ihre Haut ist von tiefen Furchen durchzogen und an manchen Stellen schorfig. »Du könntest auch mehr Zuwendung gebrauchen«, stellt der Tierarzt fest. »Wie darf ich dich nennen?« »Laska«, nuschelt sie fortwährend im Rhythmus ihrer Bewegungen. »Laska … Laska … Laska.« Ihr müsst hier alle raus, denkt sich der Doktor. »Halte durch!«, flüstert er ihr zu und grault sie hinter dem Ohr. »Ich komme bald wieder, dann wird sich hoffentlich so einiges ändern für euch.« Danach macht er sich auf, nach weiteren Zirkustieren zu suchen. Vorsichtig schleicht der Tierarzt zwischen den Anhängern umher. Aus einem hört er ein lautes Schnarchen, welches immer wieder von Seufzern und krächzenden Hustenanfällen unterbrochen wird. Behutsam hebt der Doktor das Verdeck des Anhängers an. In einem rostigen Käfig liegt ein großes braunes Etwas und schlummert vor sich hin. Mit einem Satz hüpft er auf die Ladefläche. Das Tier erwacht und verkriecht sich verängstigt in die hinterste Ecke des Käfigs. »Brröö!«, knurrt es leise vor sich hin. Ihr Fell ist an einigen Stellen ergraut. Mancherorts fehlt es ganz und gar. Am Po und auf dem Rücken klaffen offene Wunden und die Fußsohlen sind rissig und mit Schorf übersät. Die Augen sind blutunterlaufen und ihre Lider entzündet. Einige Zähne fehlen und unentwegt läuft Sabber aus ihrem Maul. Sie müffelt fürchterlich. |

Der Doktor schaut sich weiter um. An den Planken des Anhängers kleben zerfetzte Werbeplakate. Sie zeigen das Zirkusleben zu früheren Zeiten. Auf einem Bild entdeckt er eine glücklich dreinschauende Bärenfamilie. Der kleine Bär, in deren Mitte, kommt ihm irgendwie bekannt vor, hat er doch ein winziges, helles Fleck unter dem linken Auge. Momentan fehlt ihm jedoch jegliche Erinnerung.
»Du verstehst mich also … dir hat man offenbar übel mitgespielt«, muss der Tierarzt feststellen. »Rücke näher und lass mich bitte deine Wunden versorgen. Wie ist dein Name?« Was mache ich bloß? Sage ich es ihr? Einen Augenblick lang denkt der Doktor nach, doch dann platzt es aus ihm heraus: »Dinco geht es gut. Er lebt … bleibe wach! Hörst du!«, stupst der Arzt gegen ihren Arm. »Er wohnt im Morgelwald und ist putzmunter.« Unbemerkt von den beiden schleicht sich ein putziges Mauswiesel heran und belauscht das sonderbare Gespräch. Es ist Enno, ein pfiffiges Kerlchen, gerissen, schlau und nicht immer ganz ehrlich. Ein Zögling des Zirkusdirektors. Für eine Leckerei würde dieser sogar seine Großmutter verraten. Und so kommt es, dass Enno sogleich dem dickbäuchigen Mann mit strähnigem, fettigem, schwarz gelockten Haar Bericht erstattet. »Signor Rossini, ich bin es«, flüstert Enno durch die Tür des pompösen Wohnwagens. »Da macht sich ein Fremder an Dana ran.« Mit Mühe schiebt er eilig seinen dicken Bauch durch die schmale Wohnwagentür. Mit Karacho schnippt einer der goldfarbenen Knöpfe seiner schmucken Uniformjacke im hohen Bogen davon. Enno grient vor sich hin. »Verflixt, suche das Ding!«, ruft er dem Wiesel zu und eilt zum Materialwagen hinüber. »Was machen sie hier?«, will der Direktor wissen, als er an den Anhänger herantritt und die Plane schlagartig zur Seite reißt. »Wer sind sie und wie sind sie hier hineingekommen? Das ist Privatbesitz. Ich rufe die Polizei, wenn sie nicht sofort verschwinden.« Das ist eine harte Nuss, dieser Doktor. Da muss ich mir etwas einfallen lassen, um den zu knacken, geht es Rossini durch den Kopf und trottet davon. Wieso kann der mit den Tieren sprechen? Der Doktor verarztet notdürftig Danas Wunden und verspricht ihr, bald wiederzukommen. Kaum, dass er fertig ist, schleicht er sich davon und macht sich sogleich auf den Weg in den Morgelwald, um dem Waldkobold Morgel von seiner Entdeckung zu berichten. Eine flinke Befreiungsaktion»Morgel! Morgel!«, ruft der Tierarzt schon von Weitem. »Dincos Zirkus ist in der Stadt.« »Das möchte ich auch können, dann wäre ich noch schneller bei meinen Patienten. Schneller, als die Polizei erlaubt«, ist der Tierarzt von dem rasanten Manöver überwältigt. Während Morgel unbemerkt von Anhänger zu Anhänger und von Wohnwagen zu Wohnwagen koboldiert, durchsucht der Doktor das Zelt der Tiere. Hinter einem riesigen Heuhaufen versteckt, findet er den zerbeulten Käfig. Dana schläft. Unentwegt murmelt sie »Dinco, mein kleiner Dinco« vor sich hin. Ihre Wunden bluten unter dem neuen Verband. »Du hast sie gefunden«, freut sich der Kobold. »Das also ist Dana. Ach herrje, die Ärmste sieht schrecklich lädiert aus.« »Hast du das gesehen?«, schaut Rossini verdutzt und schubst mit dem Fuß die Heuballen hin und her. »Die Bärin ist geradewegs vor unseren Augen verschwunden. Und mit ihr dieser nervige Doktor und so ein kleiner, grüner Wurzelzwerg. Einfach so. Wie ist das möglich? Die waren doch eben noch hier. Träume ich?« Derweil sind Morgel und der Doktor mit samt der Bärin zur Wurzelhöhle zurückgekehrt. Das Rehkitz und der Lehrer Dachs haben geschwind ein kuscheliges Lager aus weichem Stroh und Gras für Dana vorbereitet. Morgel und der Tierarzt helfen ihr, sich hinzulegen. |

»Danke sehr, ihr seid so gut zu mir.« »Können wir helfen?«, möchten Mio und Pio, die beiden Mäuse, und Gaston, das Meerschweinchen, wissen. »Ja, gerne. Holt frisches Wasser herbei«, stimmt der Doktor zu. »Sie muss jetzt trinken und vor allem braucht sie viel Ruhe.« »Mon dieu! Die Ärmste. Ich werde ihr eine kräftige Suppe zubereiten«, verspricht Gaston, der eifrige Wurzelhöhlenkoch. »Dann mache ich mich mal auf die Suche nach Dinco«, schlägt Morgel vor. »Es ist besser, ich bringe ihm schonend bei, was gerade passiert ist, als dass er es von jemandem anderen hört. Du weißt ja, wie hitzköpfig er sein kann.« Eine besondere NachrichtMorgel muss nicht lange suchen, um den kleinen Bären zu finden. Dinco hat es sich, wie so oft, an dem morschen Eichenstamm gemütlich gemacht, der in der Nähe des Fuchsloches vor sich hin modert. In einem der Astlöcher hat sich ein emsiges Wildbienenvolk sein Zuhause eingerichtet und zieht dort die Brut auf. Bisweilen sind die Bienen so fleißig und haben so viel von dem süßen Nektar eingesammelt, dass sie dem Schleckermaul Dinco allzu gern etwas abgeben wollen. »Summ-summ! Pass auf, ich spritze dir einen Schwapp honigsüßen Blubbersaft direkt auf deine Zunge«, ruft Malinka, eine mutige, schlaue und abenteuerlustige Arbeitsbiene, Dinco zu. »Mach den Mund weit auf.« »Hier bist du, mein Lieber. Das hätte ich mir ja gleich denken können«, ruft Morgel Dinco zu. »Wir müssen reden.« Dinco wirkt plötzlich benommen. Ihm wird übel. Kalte und warme Schauer laufen zeitgleich über seinen Rücken. Sein Herz rast. Er schüttelt sich am ganzen Leib. »Aber sie hat sich doch nicht mehr gerührt. Sie sagte, es geht zu Ende. Ich soll gehen und frei sein«, flüstert Dinco irritiert vor sich hin. »Ich muss zu ihr!«, brüllt er den Morgel an und flitzt wie ein geölter Blitz los. »Jetzt! Sofort!«, schreit er von Weitem. Eine Sekunde später steht Morgel im Vorraum der Höhle. Plötzlich schlägt die Tür auf. Dana schreckt hoch und verkriecht sich eilig in eine hintere Ecke des Raumes. »Mutti! Mutti!«, platzt Dinco ins Zimmer. »Du lebst!« |

Dinco klettert, so wie er es früher immer tat, auf ihren Bauch und Dana nimmt ihren kleinen Sohn liebkosend in die Arme und drückt ihn fest an sich. Sie küsst jede Stelle seines Gesichtes. Immer und immer wieder.
»Wie groß du geworden bist«, schluchzt die Bärin, während ihr eine Flut aus Freudentränen über die Wangen rinnt. »Ein richtiger Bär ist aus dir geworden, mein Kleiner.« Dinco bekommt kein Wort heraus. Er kann es kaum fassen, seine geliebte Mutti wiederzuhaben. »Es ist herrlich, euch so vereint zu sehen. Ich wünsche euch beiden, dass ihr nie wieder getrennt leben müsst«, spricht der Kobold. »Lassen wir die beiden jetzt allein«, fordert er die umstehenden Mitbewohner auf, »ihr habt euch sicher viel zu erzählen.« Alle lachen. Eine Reise in die ZirkusweltGespannt warten die vielen Wurzelhöhlenbewohner, die Mäuse Mio und Pio, Gunther, der Specht, Wilma und ihre Frischlinge Ben, Ken und Molli, die Ricke Gertrud und das Rehkitz, Igel Stachel, ja sogar der mürrische Molch Adalbert, darauf, zu erfahren, wie es der Bärin bisher ergangen war. Sie möchten wissen, ob sich Dinco über diese tolle Überraschung gefreut hat. Und natürlich wollen sie alle zusammen beratschlagen, wie Dana hier im Morgelwald vor den Zirkusleuten geschützt werden kann. Den ganzen Nachmittag über schnattern, piepsen, grunzen und blöken die Tiere wild durcheinander. Sogar Lothar vom Hocksloch, der Lehrer Dachs, der Stockentenerpel Gustav und die Raben Clara und Constantin vom Baldrichstein haben sich noch hinzugesellt. Die Nachricht über die Ankunft der Bärin breitet sich wie ein Lauffeuer im gesamten Morgelwald aus. Selbst die überaus ängstliche Elster Gloria I. vom Heßwinkelhof hat die Neugier aus dem Reinhardsbrunner Märchenschloss hierher getrieben. Doktor Freund erzählt von der Arbeit und dem Leben beim Zirkus. Mio und Pio wollen unbedingt einmal bei einer solchen Vorführung dabei sein. Auch Gunther, der glaubt, sonst über alles Bescheid zu wissen, hat keinen Schimmer vom Zirkusleben. Nur Gaston, der kleine französische Koch, war mit seinem Frauchen früher einmal in Paris in der Manege und durfte dort Jongleuren, Clowns, Seiltänzern und Tierdressuren zuschauen. »Oh, mon dieu! Das war sehr lustig«, weiß das Meerschweinchen zu berichten. Daher beschließt Doktor Freund spontan, mit den Vieren an diesem Abend in die Vorstellung des Zirkusses zu gehen. Die beiden Mäuse steckt er in die eine Manteltasche und Gaston in die andere. Gunther schlüpft unter seinen Hut, in den der Doktor zuvor ein klitzekleines Guckloch hineingeschnitten hat. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg. Dort angekommen, parkt der Doktor mit seinem Trabant abseits des Rummelplatzes. Das Licht erlischt. Unter dem Zeltdach wird es zunehmend dunkler. Als Erstes galoppiert Tristan, der Schimmelhengst, einige Runden durch die Manege, während er von einem kleinen Mädchen im rosa Glitzerkleidchen an einer Longe geführt wird. Dann reitet ein junger, zierlicher Mann auf dessen Rücken, mal vorwärts, mal rückwärts sitzend, mal kopfstehend. Gleich danach tritt eine Akrobatenfamilie auf und vollführt am Reck und an einer Schaukel halsbrecherische Loopings. Ein anderer muskulöser Mann balanciert auf einem Hochseil entlang, welches unter dem Zeltdach gespannt ist. Bevor der auf allen Plakaten angepriesene, weltberühmte Magier seinen spektakulären Auftritt hat, treiben ein Clown, Toni und Freddy, die beiden Ziegenböcke, und Nils, der Esel, ihr Unwesen in der Manege. |

Mit allerlei Spielchen und Trara bringen sie das Publikum zum Lachen.
Nun hat Salbustini, der große Zauberer, seinen Auftritt. Das Licht wird vollends gelöscht. Es ist zappenduster. Ein einziger Scheinwerfer ist auf den Magier gerichtet, als er mit drei Jonglierstäben, an deren Ende je eine Flamme lodert, die Manege betritt. Erstmals präsentiert er seinen prachtvoll geschwungenen Schnurrbart, den er tagsüber stets unter einem Bartschoner versteckt. Er ist ganz in Schwarz gekleidet. Langer Ledermantel, Lackschuhe, Zylinder. Als i-Tüpfelchen prangt eine rote Fliege auf seinem schlohweißen Hemd. Das Publikum raunt lautstark, als er beginnt, Feuer zu speien. Die Flammen schlagen hoch bis fast unter das Zeltdach. Eine Lady in einem purpurfarbenen Kleid assistiert ihm. Im Anschluss zaubert er ein weißes Kaninchen aus dem Hut und zieht sich meterweise bunte Tücher aus den Ärmeln und aus dem Kragen. Zu guter Letzt bittet er seine Assistentin, sich in eine längliche, schmale Kiste zu zwängen. An dem einen Ende schauen ihre knallroten Pumps heraus und am anderen der Kopf. Sie lächelt freudestrahlend ins Publikum, als Salbustini anschließend der Reihe nach, drei lange, geschwungene, messerscharfe Säbel durch sie hindurch stößt. »Oje, ist die jetzt kaputt?«, fragt ein kleines Mädchen und vergräbt ihren Kopf heulend im Schoss der Mutter. »Quel ennui! Das ist so langweilig!«, schimpft Gaston. »Der will ein Magier sein? Ich sage ja, alles nur Hokuspokus.« Morgel lässt die vier antreten und drückt die Wurzelhöhlentaste auf seinem Tastending. Der Doktor bleibt allein zurück und macht sich auf den Heimweg. Eine ernst gemeinte DrohungEnno hat alles mit angehört und ist verblüfft, als die Tiere plötzlich, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden sind. Sogleich holt er den Zirkusdirektor herbei. »Halt!«, ruft eine Stimme aus einer dunklen Ecke. »Hey! Bleiben sie mal stehen, Herr Tierarzt. Wohin so eilig?« Der Doktor macht sich kurz entschlossen auf den Weg in den Morgelwald. Immer wieder schaut er in den Rückspiegel, ob ihm auch niemand folgt. Nichtsahnend führt er jedoch einen blinden Passagier an Bord seines Trabanten mit. Obwohl Enno das Geruckel und Geschaukel beim Fahren nicht verträgt, hat er sich klammheimlich durch einen Fensterschlitz hineingeschlichen und unter dem Fahrersitz versteckt. »Auweia, mir wird voll übel«, flüstert er vor sich hin. »Was man nicht alles macht für den Boss.« Die letzten paar hundert Meter muss der Doktor zu Fuß zurücklegen, um zur Wurzelhöhle zu gelangen. Enno folgt ihm. Behutsam schleicht das Wiesel durchs Dickicht und hopst von Baum zu Baum, um nicht entdeckt zu werden. »Stopp! Wohin des Weges, Fremder?«, fragt Schröder und streckt ihm seinen rechten Flügel entgegen. Unverrichteter Dinge muss Enno den Wald wieder verlassen. Auf dem Klostermühlenweg trifft er auf den Zirkusdirektor und seinen Zauberer. Die beiden konnten dem Tierarzt mit ihrem alten Volkswagen Käfer bis hierher zum Kinderheim folgen. Am Wegesrand finden sie nur noch dessen leeren Trabant vor. Derweil hat Schröder die Luchsin Lava und Fuchs Lothar vom Hocksloch alarmiert. Die beiden sind der Fährte des Wiesels gefolgt und können so den Wortwechsel zwischen den Dreien auf dem Waldweg belauschen. Mutig stellen sie sich den Streithälsen in den Weg und fauchen sie furchterregend an. »Die konnten wir verscheuchen«, berichtet Lava, als die drei zur Wurzelhöhle zurückkehren. Eine irre AktionMio und Pio bekommen die ganze Nacht kein Auge zu. Sie zweifeln an den Beteuerungen des Waldkoboldes, etwas gegen die beiden Ganoven beim Zirkus zu unternehmen. Zusammen mit Gustav brüten sie einen tollkühnen Plan aus. Lautlos schleichen sich die drei in die Koboldstube und suchen klammheimlich in den Zauberbüchern nach einem passenden Spruch, um dem Zirkusdirektor und seinen Zauberer eins auswischen zu können. Und sie werden fündig. Draußen vor der Wurzelhöhle ruft Gustav: »Aufsitzen, ihr beiden! Wo müssen wir eigentlich hin? Kennt ihr den Weg?« »Wir fliegen!«, piepst Mio lautstark heraus. »Wir fliegen! Du hast es geschafft. Boah, ist das toll!« Die beiden Mäuse sind fasziniert von der grandiosen Aussicht. Es geht bergauf und bergab. Hindurch zwischen unzähligen Bäumen. Die vielen Lichter überall, das Schloss Tenneberg, die Stadtkirche und das Nikolaustor, all das haben sie noch nie von oben gesehen. Blitzschnell düsen die drei über den Dächern der Stadt hinweg. Hier und da wimmeln Menschen durch Straßen und Gassen. Mit schweren Schritten stolziert Rossini in seinem Wagen auf und ab und murmelt seinen Eröffnungstext vor sich hin. Dann tritt er aus der Tür, stolpert die Treppe hinunter und marschiert schnurstracks auf das Zirkuszelt zu. Von dort sind wildes Geplapper, Geschrei und Blasmusik zu hören. Als der Direktor das Zelt betritt, spielt die Band einen Tusch. Das Publikum jubelt. »Los, auf gehts!«, piepst Mio. »Die Nachtvorstellung hat schon begonnen.« Dann ist es endlich so weit, mit großem Tamtam tritt Salbustini in die Manege. Die Massen toben, jubeln und stampfen mit den Füßen. Der Boden fängt an zu beben. |

Die Kapelle spielt einen Tusch nach dem anderen. Er schwenkt seinen Zylinder und verneigt sich vor den Leuten. Abermals fuchtelt er mit drei Jonglierstäben umher, an deren Ende je eine Flamme lodert.
»Denen scheint das alles zu gefallen«, flüstert Gustav. »Vielleicht ist der doch ein echter Zauberer? Womöglich verwandelt er uns zu Stein, wenn wir ihm in die Quere kommen?« »Tssapegfua, ebeil eteul«, ruft Salbustini plötzlich. »Hcielg edrew hci nie nehcninak sua med tuh nrebuaz.« Ein Tusch ertönt. Noch einer und noch einer. Mit einem Male plätschert schwarzes Pech aus den Posaunenkelchen. |

Aus allen Ritzen strömt Wasser in die Mitte des Zeltes. Unaufhaltsam steigt es an. Die Orchesterleute klatschen ihre Instrumente in die Ecke, klettern hektisch von der Bühne und eilen davon. Das Licht fängt an zu flackern, mal rot, dann gelb, dann grün. Funken sprühen. Mancherorts blitzt es. Mit einem Male wird es kalt. So bitterkalt, dass das Wasser zu gefrieren beginnt. Dicke Eiszapfen bilden sich. Das Zelt ächzt unter deren Last. Die Masten biegen sich bedrohlich hin und her. Es knistert und knackt. Unversehens bildet sich ringsumher eine rutschige Eisfläche. Panik bricht aus unter den Menschen. Das Publikum springt kreischend auf. Hier und da fallen Leute zu Boden oder gestikulieren wild mit den Armen, um Halt zu finden. Rossini ist bemüht, die Meute zu beruhigen. »Aber bleiben sie doch«, ruft er hinterher. »Sie bekommen alle etwas Geld zurück. An der Kasse gibt es Gutscheine, warme Getränke oder Eis am Stiel. So bleiben sie doch!« Dann entdeckt er die Übeltäter. »Schau nur, Salbustini, dort, das Federvieh und die zwei Ratten. Tue was! Mach sie zu Stein!« »Wir haben es geschafft! Wir haben es geschafft!«, hüpft Mio freudestrahlend umher. »Die sind erledigt.« Wie im Film läuft blitzschnell alles in umgekehrter Reihenfolge ab. Das Publikum kehrt plötzlich im Eiltempo auf seine Plätze zurück. Das Eis taut. Es wird mollig warm. Die Musiker flitzen rückwärts der Treppe zur Bühne hoch. So schnell, wie es gekommen war, plätschert das Pech hinauf in die Posaunen. Alles ist ruckzuck wieder trocken, als wäre nichts geschehen. Selbst Salbustini spricht völlig normal. Das weiße Häschen hoppelt flink in seinen Zylinder zurück. »Zeit, setze fort nun deine Reise, unbeirrt, dies wäre Weise!«, ruft Regina im Anschluss. Zu guter Letzt dreht sie eine große Runde durchs Zirkuszelt und schwingt ihren Zauberstab hin und her. Ein greller Blitz und schon haben die Menschen das Erlebte abrupt vergessen. Alles ist wieder, wie es vorher war. Eine Zirkuswelt ohne TiereDie zwei Halunken allerdings, den Zirkusdirektor und seinen Möchtegernzauberer, hat die Waldfee absichtlich ausgelassen. Sie können sich nach wie vor an das Geschehene erinnern. Morgel und die Fee geben sich den beiden zu erkennen. Die Musik beginnt zu spielen. Der Marsch – Einzug der Gladiatoren – ist zu hören. Angeführt von Tristan betreten die Zirkustiere im Gänsemarsch einer nach dem anderen die Manege und drehen einige Runden. Laska stellt sich auf Ihre Hinterbeine und posaunt lautstark mit ihrem Rüssel. Killari präsentiert stolz dem Publikum ihr Neugeborenes. Bill humpelt unter Schmerzen ein letztes Mal durch die Arena. Nils, Freddy und Toni tollen wie immer wild umher und bringen die Leute zum Lachen. Die Zirkusleute stehen mit versteinerter Miene am Rand und schauen verwundert dem Treiben zu. Alles wirkt wie ein großes lustiges Fest, doch es ist eine Abschiedsvorstellung. Plötzlich verstummt die Musik. Die Zirkustiere versammeln sich um Tristan. Laska lässt vier laute Töne aus ihrem Rüssel erklingen. Das Publikum jubelt und staunt. Drei Tusche hintereinander verkünden das Ende der Vorstellung und nach und nach verlassen die Leute das Zirkuszelt und gehen nach Hause. »Du hast verstanden, was Laska ausposaunt hat?«, fragt Morgel den Zirkusdirektor. |

»Ach, papperlapapp! Lerne du erst einmal richtig zaubern«, winkt Rossini ab. »Na gut, wenn die Tiere das so wollen und ich keinen Ärger bekomme, dann bin ich damit einverstanden. Nur lasst mir meinen Zirkus.« »Dann ist es also abgemacht!«, spricht der Kobold und reicht ihm die Hand hin. »Hand drauf!«, schlägt Rossini ein. »Wir werden euch weiter beobachten. Seid euch dessen gewiss«, warnt Morgel. »Nun könnt ihr gehen. Wir haben noch etwas mit den Tieren zu besprechen.« »Dann ist ja nur noch eines zu tun«, fügt Regina hinzu und blendet die beiden Fix mit ihrem Zauberstab. »Die werden sich doch noch an unsere Absprache erinnern?«, fragt Morgel die Fee. »Aber klar doch, diese Erinnerung habe ich dereneiner gelassen.« »Hört, liebe Freunde! Mein Name ist Munk Orgu-Telas. Rossini gibt euch frei. Von nun an ist die Zeit der Qualen vorbei«, ruft er. »Ihr dürft künftig eueren Lebensabend in Freiheit und unter unserem Schutz verbringen.« Eine rasant wachsende GemeinschaftVor der Wurzelhöhle werden die Neulinge freudig und jubelnd von den Bewohnern des Morgelwaldes erwartet. Alle sind zusammen gekommen, um sie zu begrüßen. Sogar Eddy, der Otter, und seine Familie sind vom Otterbachsteich angereist. »Nun erst einmal zu euch Dreien«, spricht Morgel. »Dies ist das richtige Stichwort für mich. Ich habe Dinco auch etwas versprochen, und was ich verspreche, das halte ich auch«, meldet sich Morgel zu Wort. In diesem Moment tritt Dana vor die Tür der Wurzelhöhle. Plötzlich kehrt Ruhe ein. Von dem Jubel und Trubel ist sie erwacht. Pitschnass kehrt die Bärin zurück und nimmt ihren Dinco in die Arme. »Danke sehr, lieber Herr Doktor, dass sie meinem Sohn und mir das Leben gerettet haben. Wir stehen für immer in ihrer Schuld«, spricht Dana. »Wir wollen gerne ein Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft sein. Es wäre uns eine Ehre.« Völlige Stille tritt ein. Der Kobold zieht wie immer seinen Zauberstab heraus und tippt den beiden Neulingen nacheinander auf die Stirn. »Ihr seid von nun an Gefährten der Gemeinschaft am Komstkochsteich«, spricht Morgel die Zauberformel. »Solange ihr das thüringische Land nicht verlasst, sei euch beiden ewiges Leben beschert. Die Gemeinschaft wird stets für euch sorgen, Frieden und Sicherheit bieten. Seid von Herzen willkommen!« »Unsereiner sind noch nicht ganz fertig«, ruft die Waldfee die Waldbewohner zur Ordnung. »Der Ältestenrat hat noch eine Auszeichnung vorzunehmen.« Ende! Ob Enno seinen Platz in der Gemeinschaft findet und welches Abenteuer der junge Nils erleben darf, erfährst Du in einer der nächsten Morgelgeschichten, welche irgendwann für Dich hier erzählt werden. Bleib voller Neugier! |
Kleine Reihe: Zirkuswelt
Fortsetzung von: Morgel und der kleine Zirkusbär
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Ein guter Einstieg, macht Lust auf mehr. 😃
Wundervoll bildlich geschrieben, man fühlt sich mittendrin, auch für Lesemuffel geeignet.
Danke für die schöne Geschichte. Ich bin gespannt wie es weiter geht.
Super!
Die Geschichte hat mich gleich in ihren Bann gezogen. Schön geschrieben und so phantasievoll. Ich bin neugierig, wie es wohl weitergeht…
Sehr schöne Geschichte- so anschaulich…
Danke für die schönen Geschichten.
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