
Autor: Jens K. Carl
Illustrator: Jens K. Carl
Altersempfehlung: ab 4 Jahren.
Kleine Reihe: Zirkuswelt
Fortsetzung in: Morgel und der Möchtegernzauberer
Dr. med. vet. Volkmar Weidmann aus Uhlstädt-Kirchhasel,
dem besten Tierarzt der Welt.
Morgel und der kleine ZirkusbärEines schönen Tages schlug auf einem Festplatz unterhalb der Wartburg ein kleiner Familienzirkus für ganze drei Tage sein Zelt auf. Viele Schaulustige waren zu den Vorführungen gekommen: Mütter und Väter mit ihren Kindern, deren Großeltern, Tanten und Onkels, Cousinen und Cousins. Am heutigen Abend wird die Schlussvorstellung stattfinden. Das Zirkuszelt ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen prasselt derweil Regen in Bindfäden auf das Zeltdach hernieder. Es stürmt und die Zeltmasten schwanken bedrohlich hin und her. Die Artisten und Tiere geben mal wieder alles. Zu sehen ist ein bunter Clown mit einem in die Jahre gekommenen Esel, die zusammen allerhand Quatsch machen. Dann tritt noch ein Jongleur mit Feuerfackeln auf, und zwei junge Pferde, die ständig im Kreis herumlaufen. Danach eine Familie aus Hochseilartisten und zum guten Schluss eine Bärin mit ihrem niedlichen Sohn. |

Der kleine Zirkusbär Dinco und dessen Mutter Dana sind die Hauptattraktion in der Manege. Beide jonglieren mit großen Gummibällen, balancieren auf dem Schwebebalken umher und fahren auf dem Einrad im Kreis herum. Zum Schluss springt der junge Bär noch durch einen brennenden Hula-Hoop-Reifen, der ihm vom Zirkusdirektor hingehalten wird.
Dana ist von den täglichen Anstrengungen in der Manege völlig erschöpft und vom Leben im Zirkus gezeichnet. Am liebsten hätte sie aufgegeben, denn sie ist alt und krank. Sie hat bereits viele graue Haare bekommen. Seit dem Unfall des Bärenvaters vor knapp einem Jahr fühlt sie sich sehr einsam. Aber sie muss durchhalten, um ihren Sohn Dinco zu behüten. Dincos unheilsamer VerlustAuch der Zirkus selbst ist in die Jahre gekommen. Die Zeltplane ist löchrig. Die Zugmaschinen, die Wohnwagen der Zirkusfamilien und die beiden Materialwagen, auf denen auch die Käfige der Tiere stehen, sind alt und klapprig. Die Fahrgestelle knacken, das Profil der Reifen ist abgenutzt und die Achsen und Bremsen quietschen beim Fahren. Noch am selben Abend, gleich nach der letzten Vorstellung, wird das Zelt abgebaut und auf den Hängern verstaut. Es geht hektisch zu und laut. Zum Schlafen bleibt kaum Zeit für die Zirkusleute. Auch Dana und Dinco bekommen in dieser Nacht kein Auge zu. Als Dinco nach dem Sturz zur Besinnung kommt, ist es stockdunkel um ihn herum. Totenstille herrscht. Nur das leise Prasseln des Regens auf der völlig durchlöcherten Anhängerplane ist zu hören. Hin und wieder hellt in der Ferne ein Blitz den Himmel auf. Es braucht etwas Zeit, bis Dinco versteht, was passiert ist. Erst dann kann er die Pfote seiner Mutter loslassen. Tränen fließen über die behaarten Wangen. Das Sprechen fällt ihm schwer. Sein Mund ist trocken und die Zunge klebt am Gaumen fest. Wortlos und taumelig klettert der kleine Bär durch die verbogenen Gitterstäbe nach draußen und versteckt sich hinter einigen Büschen am Fahrbahnrand. Im Nu ist er bis auf die Haut durchnässt. Es bläst ein kalter Wind. Er friert. Dinco schaut noch eine ganze Weile zurück. Traurig muss er mit ansehen, wie der Käfig und seine Mutter mit einem Kranwagen der Feuerwehr auf einen fremden Lastkraftwagen verladen und dann abtransportiert werden. Dincos irrsamer Weg durchs LandVon nun an ist Dinco auf sich allein gestellt. Humpelnd und vor Schmerzen jammernd macht er sich auf den Weg, um nach etwas Essbarem zu suchen. Gleich neben der Autobahn entdeckt Dinco einen Bach. Erschöpft und enttäuscht bleibt er rücklings am Ufer liegen und schaut zum Himmel hinauf. Viele kleine, blitzende Lichter fallen ihm dort oben auf. Nach einer kurzen Wanderung trifft der Bär auf eine zweite Mühle. Menschenstimmen und Hundegejaule sind schon von Weitem zu hören. Als er vorsichtig um die Ecke der Zufahrt lunzt, sieht er zwei Wachhunde auf dem hell erleuchteten Hof umherlaufen. Jeder von ihnen zieht eine lange Eisenkette hinter sich her. Auf einem Hügel in der Ferne sieht Dinco Lichter brennen. Dort oben werde ich sicher etwas Essbares finden, geht es ihm so durch den Kopf. Sogleich macht er sich landeinwärts auf den Weg dorthin. Die Stunden vergehen. Der Weg nimmt kein Ende. Mittlerweile steht die Sonne hoch oben am Himmel. Es scheint ein sehr warmer Tag zu werden. Kaum ein Baum oder Strauch säumt den Wegesrand, unter dem Dinco hätte Schatten finden können. Mit einem Mal rückt ein Traktor aus der Ferne an. Hinter ihm fliegen Fetzen von geschnittenem Gras in die Luft. Es duftet nach Heu. Plötzlich hält das Gefährt an und die Fahrerin blickt mit einem Feldstecher genau in seine Richtung. Oben angekommen, stößt Dinco auf eine Stelle, wo mehrere Mülltonnen und Pappkartons umherstehen. Sie sind randvoll mit Dosen, Gläsern, Papier und Essensresten gefüllt. Dincos wundersame BegegnungWährend Dinco kopfüber in der Tonne abtaucht und nur noch sein Po und die Beine herausschauen, bemerkt er, wie sich etwas von hinten heranschleicht. Er zwängt sich heraus und dreht sich blitzschnell um. Ein rotbrauner Fuchs mit einer weißen buschigen Rute steht vor ihm, fletscht die Zähne und knurrt ihn an. Ruckzuck richtet sich der kleine Bär auf, stellt sich auf die Hinterpfoten, streckt die Brust heraus und brüllt den Fremdling an: »Brröö! Brröö!« Lothar vom Hocksloch ist ein schlauer Fuchs und er spürt sofort, dass der kleine Bär wohl doch der Stärkere von beiden ist. Brav senkt er zum Gruße den Kopf und säuselt dabei: »Sei gegrüßt, Herr Bär. Ich wollte euch nicht erschrecken. Man nennt mich Lothar vom Hocksloch. Wie ist euer werter Name?« Plötzlich hebt der Fuchs seine Nase in die Höhe. Ein seltsamer Geruch macht sich breit. »Bist du etwa verletzt? Wo kommst du noch mal her?«, fragt Lothar nach. Der Fuchs macht sich, so schnell er kann, auf zur Wurzelhöhle, welche nahe des Komstkochsteiches gelegen ist, um den Waldkobold zu Hilfe zu holen. Er weiß, der Weg dorthin ist weit und voller Gefahren, denn er muss eine Landstraße und offene Wiesen und Felder durchqueren. Am hellerlichten Tage ist es ratsam, die Siedlungen der Menschen zu meiden. Ich muss auf der Hut sein, geht es Lothar durch den Kopf. Schon heute Morgen war viel Tumult im Ort. Sirenengeheul überall. Irgendetwas Schlimmes wird da wohl geschehen sein. Auf halbem Weg begegnet ihm Flocke, die oberneugierige Posttaube aus dem Morgelwaldpostamt. Sie hat Lothar beim Heimflug an den Otterbachsteichen entdeckt. »Hu-ru, hu-ru! Wohin so eilig, Herr Fuchs?«, gurrt sie von oben. »Man könnte denken, ein Grünrock ist hinter ihnen her.« Dinco hat es sich inzwischen bei den Mülltonnen bequem gemacht. Seine Schmerzen im Bein spürt er kaum noch. Er futtert alles auf, was ihm in die Pfoten fällt. Sein Bauch ist mittlerweile proppenvoll. Er platzt bald. |

Dinco erschrickt fürchterlich. Ruckzuck springt er nach vorn und brüllt die Müllmänner an: »Brröö! Brröö!« »Herrjemine, Hilfe, Hilfe! Ein Bär. Rette sich, wer kann!«, ruft der eine dem anderen zu, als er Dinco entdeckt. In Panik ergreifen beide die Flucht und stürmen in die Gaststube des Kalkberghauses. »Polizei, Polizei! Schnell Wirt, ruf die Polizei herbei!« Hals über Kopf flüchtet auch Dinco in den Wald hinein. Er rennt und rennt und rennt. Blindlings stolpert er kopfüber in eine tiefe Senke. Purzelbaum für Purzelbaum rollt er schreiend vor Schmerzen einen Abhang hinunter und bleibt erschöpft unten liegen. Die Wunde ist nun weiter aufgerissen und blutet noch heftiger als je zuvor. Der kleine Bär fällt in Ohnmacht. Als der Fuchs kurze Zeit später wieder bei den Mülltonnen eintrifft, ist der Bär verschwunden. Er ruft nach ihm: »Dinco, wo steckst du? Los zeig dich!« Dincos heilsame RettungOhrenbetäubendes Sirenengeheul ist aus der Ferne zu hören. Es nähert sich. Drei Polizeiautos rasen mit Karacho zum Kalkberg hinauf und bremsen haarscharf vor dem Mülllaster. Eine dicke Wolke aus Staub und Dreck macht sich breit. »Lass uns schleunigst hier verschwinden und nach dem Bären suchen«, stupst Morgel Lothar an. »Los auf gehts!« Drei vermummte Polizisten stehen mit ihren Gewehren oben am Rand und blicken verwundert in die Senke hinunter. Noch bevor sie begreifen können, dass dort unten ein Bär und ein Fuchs in der Falle sitzen, schnappt Morgel Lothar und Dinco am Arm. Dann drückt er auf die Medizin-Taste seines Tastendinges und koboldiert mit ihnen flugs zu Doktor Freund in die Tierarztpraxis. »Was war das denn? Wo sind die beiden plötzlich hin?«, wundert sich der eine Polizist. »Habt ihr auch eben zwei Tiere da unten liegen gesehen?« Die Tierarztpraxis des Doktors liegt nahe am Wald, unweit vom Komstkochsteich entfernt. Doktor Freund ist im Moment der einzige Mensch hierzulande, der von der eingeschworenen Gemeinschaft am Teich weiß. Ohne Vorwarnung erscheinen der Kobold, der Bär und der Fuchs im Operationssaal der Praxis. Zum Glück wird gerade kein anderer Patient vom Arzt darin behandelt. |

»Hoppla, habt ihr mich jetzt erschreckt. Was macht ihr hier? Und wen habt ihr denn da mitgebracht?«, möchte der Doktor wissen. »Der Bär ist schwer verletzt. Er ist ohnmächtig. Mein Zauber nützt bei dem Kleinen nichts. Nur du kannst ihm noch helfen«, antwortet Morgel sorgenvoll. »Oh ja, ich sehe. Er hat eine große, klaffende Wunde am Bein. Irgendetwas steckt dort noch drinnen«, stellt der Tierarzt fest. »Ich muss schnellstens operieren. Er hat eine Menge Blut verloren. Gut, dass ihr ihn hierher gebracht habt. Das ist wahrlich ein Notfall! Morgel, du musst mir assistieren.« Lothar darf von außerhalb durch eine große Glasscheibe bei der OP zuschauen. Er fiebert mit dem kleinen Bären mit und hofft, dass alles gut ausgehen mag. Über zwei Stunden hat die Operation gedauert. Nachdem der Tierarzt die Eisenspitze entfernt und die Wunde fein säuberlich zugenäht hat, bekommt der Bär einen schönen weißen Verband angelegt und eine Spritze gegen die Schmerzen in den Po. »Fertig!«, ruft der Doktor und bittet Lothar wieder herein. Morgel und Lothar machen es sich, so gut es geht, vor dem Zwinger bequem und schlafen schnell ein. Sie schnarchen so laut, dass sie nicht bemerken, als Dinco allmählich aufwacht. Kurze Zeit später ist der Bär auf den Beinen. Er streckt seine Pfote durch die Gitterstäbe und stupst den Fuchs fortwährend an, bis dieser sich endlich rührt. »Hey, Lollar. Schläfst du noch? Hopphopp?«, fragt Dinco flüsternd nach. Von dem Geplapper der beiden erwacht nun auch der Waldkobold. Plötzlich klingelt es an der Tür der Praxis. Der Kobold gibt Dinco mit dem Finger ein Zeichen, dass er ganz leise sein soll. Die drei können hören, wie Doktor Freund mit der Polizei über einen entflohenen Bären spricht. Gleich darauf kommt Doktor Freund in den Ruheraum herunter. Er ist sehr erfreut darüber, dass Dinco wohl auf ist und es ihm offensichtlich wieder besser geht. Morgel öffnet die Gitterbox und hilft Dinco heraus. »Wir müssen los«, ruft Lothar und zerrt an des Bären Arm. Doktor Freund lächelt. Er ist sehr zufrieden mit seiner Arbeit und überglücklich, wieder einem Tier geholfen zu haben. Ende! Welche Abenteuer Dinco noch bestehen muss, ob er innerhalb der Gemeinschaft um den Kobold Morgel seinen Platz findet und aus welcher schlimmen, misslichen Lage der Doktor den Kobold seinerzeit befreit hat, sind weitere Geschichten, die sicher irgendwann einmal auch für Dich hier erzählt werden. Bleib voller Neugier! |
Kleine Reihe: Zirkuswelt
Fortsetzung in: Morgel und der Möchtegernzauberer
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Toll geschrieben, wirklich klasse!
Super nett. Es fehlt jedoch das WESENTLICHE am Anfang: Wie gemein das Ausnützen, Abrichten der Zirkustiere in der Wirklichkeit abläuft … Kinder sind REALISTEN … müssen auch v. a. darüber Bescheid bekommen. LG J. F.
Eine interessante Geschichte.
Eine kleine spannende Geschichte.
Sehr nett gemacht. 🙂