Morgel und die Abenteuer im U-Boot (Teil 10 der Morgelgeschichten)

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Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Das Cover des gleichnahmigen elektronischen Buches - Das Bild zeigt den kleinen Otter Eddy.

Autor: Jens K. Carl
Illustrator: Jens K. Carl
Altersempfehlung: ab 4 Jahren.

Im Gedenken an:
Pascha (Paschinka),
meinen treuen, geliebten Sonnenschein
(*2008 – †2021).

Morgel und die Abenteuer im U-Boot

Es blüht und grünt überall. Der Frühling hat sein frisch duftendes, farbenfrohes Gewand über dem Morgelwald ausgebreitet und die winterliche Kälte vertrieben. Allerorts sprießen an Büschen und Bäumen liebliche Knospen hervor und die zahlreichen Frühblüher wetteifern darum, wer sich von ihnen auf den umliegenden Wiesen prachtvoller denn je entfalten wird.

Gut gelaunt und putzmunter macht sich Paschinka auf den Weg, noch vor Sonnenaufgang seine Markierungen rund um die Wurzelhöhle zu erneuern. Er muss üben, denn es hat schon eine beträchtliche Zeit gedauert, und Westi Antony vom Leinetal hatte seine große Mühe damit, dem kleinen Welpen das Beinchenheben beim Pullern beizubringen. Immer wieder fehlte Paschinka die Ausdauer und er musste sich dann doch dabei hinkutzen. Nun hat er den Dreh raus, ist überglücklich und auf dem besten Weg, ein Großer unter den kleinen Hunden zu werden.

»Du sollst mich nicht immer anpullern«, schimpft Albasol, die eitle Zaubertanne.
»Ach lass ihn doch«, erwidert Albamon. »Wenn es ihm so viel Spaß macht.«
»Hier müffelt es schon überall«, rümpft Albasol die Nase.
»So streng riecht meine Puller bestimmt nicht«, ist Paschinka empört. »Das muss etwas anderes sein, was hier so gen Himmel stinkt.«
»Du hast recht«, stimmt Albamon zu. »Aber was kann das bloß sein?«

Ein furchtsamer Ausreißer

Plötzlich stapft ein lustig pfeifendes, zotteliges Etwas aus dem Gebüsch hervor. Es hat ein Stöckchen geschultert, an dem ein pralles Bündel hängt.

»Redet ihr etwa über mich?«, fragt der grau pelzige Fremdling. »Eddy ist mein Name. Ich bin auf Wanderschaft. Lasst euch nicht stören. Ein weiter Weg liegt vor mir.«
»Eddy?«, fragt Albamon verwundert. »Bist du nicht der kleine Otter von den Otterbachs, der Sohn von Otto und Ottilie?«
»Du weißt, wer ich bin?«, schaut Eddy ganz entgeistert. »Das ist ja erstaunlich.«
»Wo willst du denn hin?«, möchte Paschinka wissen.
»Och, hierhin und dahin, wohin meine Beine mich tragen mögen«, antwortet der kleine Otter.
»Du bist doch nicht etwa ausgebüxt von zu Hause?«, fragt Albasol bestürzt. »Deine Eltern werden Rotz und Wasser heulen, wenn sie merken, dass du fortgelaufen bist.«
»Och die, die sind froh, mich los zu sein«, winkt Eddy ab. »Die haben immerwährend an mir herumgemäkelt. Tue dies, tue das! Mache dies nicht, mache das nicht! Hilf uns hier, Hilf uns da! Putze deine Zähne! Wasche dich endlich mal! Gehe mit Fischen! … Mir steht es bis hier!«

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Eddy und Morgel stehen zwischen den Zaubertannen Albasol und Albmon und blicken auf den verkümmerten Baumstumpf der unsichtbaren Wurzelhöhle.

»Also waschen könntest du dich aber wirklich einmal«, bemerkt Paschinka so nebenbei. »Nötig hättest du es.«
»Wie meinst du das?«, möchte Eddy wissen und schnuppert an sich herunter. »Ich rieche nichts.«
»Ich könnte es ja ertragen, wenn du einen Hauch von Fischgeruch verbreiten würdest«, gibt Albasol zu verstehen, »immerhin bist du ein Fischotter, aber dieser üble Gestank, den du da verströmst, ist schon ziemlich herb, wenn ich es mal freundlich ausdrücken möchte.«
»Ihr seid nicht besser als meine Sippe«, dreht Eddy sich erbost ab. »Alle hacken auf mir herum. … Ich gehe nun mal nicht ins Wasser!«
»Wie bitte, bist du etwa wasserscheu?«, fragt Albamon.
»Haha!«, lacht Albasol lautstark. »Ein wasserscheuer Otter. Das muss ich gleich den anderen Bäumen und Sträuchern erzählen.«
»Na und! Macht euch nur lustig über mich«, fängt Eddy an zu weinen. »Mit mir könnt ihr es ja machen.«
»Wie bist du denn überhaupt in euere Otterbehausung gekommen? Liegt die nicht unterhalb des Wasserspiegels?«, fragt Albamon nach.
»Nein, nein! Das verwechselst du wohl mit den Bibern. Wir Otterbachs bleiben immer hübsch an Land zum Schlafen. Mein Papa Otto hat mir eine feine Höhle gegraben, schön trocken und warm«, gibt der Otter ganz stolz von sich. »Nur für mich allein.«
»Das ist doch aber nett von deinem Papa«, wirft Paschinka ein. »Da kannst du mal sehen, wie lieb er dich hat, und du willst einfach so fortlaufen.«
»Ich bleibe dabei«, begegnet Eddy trotzig. »Ich wandere aus. Keine zehn Biber bringen mich dorthin zurück.«
»Wie du meinst«, gibt Paschinka nach. »Du kommst jetzt erst einmal mit mir mit in die Höhle des Herrn Morgel, da kannst du rasten und dann schauen wir weiter.«

»Wer ist Herr Morgel?«, fragt Eddy voller Neugier nach.
»Unser aller Fürst«, gibt der kleine Hund zu verstehen. »Der Hüter des Waldes, des Morgelwaldes. Du wirst ihn sicher bald kennenlernen.«
»Ich bin noch nie einem Fürsten begegnet. Ist der auch nett?«
»Sehr nett sogar«, weiß Paschinka zu berichten und nun folge mir. »Lass uns dessen Wurzelhöhle betreten.«
»Wo soll denn hier eine Höhlenwurzel sein«, schaut sich der Otter zweifelnd um. »Meinst du dieses verkümmerte Baumstumpfding dort hinten.«
»Genau, das Ding meine ich«, winkt Paschinka Eddy zu sich.

Mit jedem Schritt, den die beiden auf die dürre Wurzel zulaufen, erscheint diese größer und größer. Vor lauter Staunen und mit offenem Mund stolpert Eddy gegen die Tür, die plötzlich mannshoch vor ihm auftaucht.
»Wow, was ist das denn?«, ist der kleine Otter erstaunt. »Das ist ja alles Zauberei.«
»Da guckst du. Was?«, freut sich Paschinka. »Ich habe beim ersten Mal auch riesige Bauklötze gestaunt, als die Bude immer größer wurde.«
»Dürfen wir denn da einfach so hineingehen?«, fragt Eddy.
»Na klar doch. Ich wohne hier«, spricht Paschinka und schubst Eddy durch die neue Hundeluke ins Innere hinein.

»Guten Tag, liebe Leute«, grüßt der Otter höflich. »Ich bin der Eddy.«
»Darf ich vorstellen. Dort sitzen Gustav, der Stockentenerpel, der Frosch Emerald und die beiden Mäuse Mio und Pio«, zeigt der kleine Hund in die Runde. »Wir alle gehören zur Gemeinschaft am Komstkochsteich.«
»Guten Tag«, rufen die vier zurück.
»Komstkochsteich?«, erschrickt Eddy. »Das klingt doch schon wieder nach Wasser.«
»Da hast du wohl recht, ganz viel Wasser«, antwortet Emerald. »Was müffelt hier plötzlich so?«

Paschinka fuchtelt sogleich stumm hinter Eddys Rücken umher, und gibt Zeichen, nicht über den Teich zu reden.

»Ach, das sind sicher die vorzüglich duftenden Morcheln, die hier vor mir im Korb liegen«, lenkt Gustav flink ab. »Nimm Platz. Gleich hier, neben mir.«
»Sehr gerne doch«, freut sich der Otter. »Das ist aber eine große Höhle und so schön trocken. Wohnt ihr alle hier?«
»Paschinka und wir Mäuse sind hier zu Hause«, antwortet Mio. »Der Frosch und die Ente wohnen allerdings unten am …«
»Nun ja, sie wohnen halt draußen, vor der Höhle«, ergreift Pio schnell das Wort.
»Was ist los mit dir?«, fragt Molch Adalbert forsch nach. »Magst du etwa kein Wasser.«
»Sicher nicht. Sonst würde er ja nicht so stinken wie ein Iltis«, wirft Kreuzspinne Esmeralda ein und lässt sich flugs an einem Seidenfaden von der Decke herunter. »Ich habe schon von dir und deinem Schiss vor dem Wasser gehört, mein kleiner Eddy. Kann ich gut verstehen. Geht mir auch so.«
»Du bist echt noch nie getaucht«, ist Emerald irritiert.
Eddy schüttelt den Kopf.
»Das ist wunderschön dort unten«, fügt der Frosch hinzu. »Die vielen hübschen Schlingpflanzen, die bunten Fische und die Krebse musst du wahrlich gesehen haben. Welse gibt es, Muscheln und Forellen. Nur vor Knut solltest du dich in Acht nehmen. Der zwickt mich ständig in meine Froschschenkel.«
»Knut, der Riesenhecht? Er ist hier bei euch?«, fragt Eddy verwundert. »Der treibt sein Unwesen doch immer bei uns im Otterbachsteich.«
»Man munkelt, die Teiche wären alle miteinander verbunden«, flüstert Gustav dem Otter ins Ohr. »Tief unten im Berg soll man sich wohl hindurchschlängeln können.«
»Das sind doch alles Ammenmärchen«, schimpft Adalbert und verschwindet wieder in seinem Kaminschlitz. »Kann mal einer für Frischluft sorgen?«
»Ich habe eine Idee«, ruft Emerald. »Wir machen den alten Kahn wieder flott, der da im Schilf vor sich hin modert. Dann kannst auch du aufs Wasser.«
»Da machen wir alle mit«, wirft Mio schnell ein.
»Nachher ist das Ding nicht ganz dicht und ich bekomme nasse Pfoten«, ist Eddy beunruhigt. »Nein, nein, nicht mit mir.«
»Komm, sei kein Hasenfuß«, ermuntert ihn Paschinka. »Ich kenne das Boot zwar nicht, aber wenn Emerald das sagt, dann wird das schon gut gehen.«
»Na gut. Anschauen kann ich mir diesen Kahn einmal«, ist der kleine Otter einverstanden.

Eine tierische Hilfsaktion

Gemeinsam machen sich die Ente, der Frosch, die beiden Mäuse, Paschinka und Eddy auf dem Weg hinunter zum Komstkochsteich. An einer abgelegenen Ecke des Teiches liegt ein vermoostes, verrottetes, halb abgesoffenes Ruderboot.

»Da bringt mich keiner rein«, ist Eddy entsetzt, als er den alten Kahn sieht. »Das Ding ist doch total im Eimer.«
»Da hast du wohl recht«, spricht Gustav. »Das Teil hat lange keiner mehr benutzt. Emerald, wie willst du das Boot wieder flottbekommen?«
»Mit ein wenig Zauberei ist es bestimmt noch zu retten«, ist sich Pio sicher. »Wir haben doch das alte Zauberbuch in unserem Versteck«, flüstert er Mio ins Ohr, »dort wird sich bestimmt ein passender Zauberspruch finden lassen.«
»Eine gute Idee. Wartet alle hier«, spricht Mio. »Wir sind gleich wieder zurück.«
Geschwind springen die beiden Mäuse mit einem Satz vom Bootsrand und flitzen schnurstracks nach Hause.

Inmitten ihrer Mausstube hat sich das Zauberbuch Nummer vier breitgemacht. Sie hatten es, als Albasol abgesägt worden war und als Weihnachtsbaum enden sollte, vom großen Esstisch gemopst und bei sich versteckt, um das Zaubern zu erlernen. Nur war das Buch damals klitzeklein, in Mausgröße etwa. Der Morgel und die Waldfee hatten aus lauter Spaß an der Zauberei alles, was sich auf dem Tisch befand, mit einem Zauberspruch verkleinern lassen. Die fünf Zauberbücher, die beiden Kerzenständer, die große Lupe, ja sogar das Tintenfass mit der hübschen bunten Feder darin.
Mio und Pio sahen damals ihre Chance und bugsierten das kleine Zauberbuch mit der Nummer vier heimlich in ihr Mauseloch. Doch wenige Minuten später war der Zauber vorüber und das Buch wurde wieder größer und größer und nahm den gesamten Platz ihrer Behausung ein. Alles ging damals zu Bruch. Die zierlichen Stühlchen, der Tisch, das Mausgeschirr der Großeltern darauf, sogar das Doppelbettchen steht nun hochkant an der Wand. Nur eine winzige Ecke verblieb den beiden seither zum Schlafen. Großes Glück hatten die zwei, dass sie nach wie vor durch ihr Mauseloch herausklettern und hereinschlüpfen konnten.

Mio kriecht flugs unter den Buchdeckel und durchsucht Seite für Seite, um einen passenden Reparaturzauber zu finden.
»Hast du ihn endlich?«, fragt Pio flüsternd nach.
»Ja, hier ist einer«, antwortet Mio wenig später. »Spruch 169 dürfte der Richtige sein.«
Mit einem Ruck reist Pio die Seite aus dem Buch.

Als die beiden wieder am Teich ankommen, herrscht dort mächtig Tumult am Ufer.
»Was wollt ihr mit dem alten Äppelkahn?«, fiepst Lilly Libelle mit leiser Stimme. »Das ist mein Zuhause.«
»Was hast du nun wieder angestellt?«, quakt Emerlise, Emeralds Gattin, genervt. »Hast du mal an unsere Kleinen gedacht. Die Lurche und Kaulquappen sind schon ganz unruhig. Der Kahn bleibt, wo er ist. Sucht euch ein anderes Spielzeug. Hinfort mit euch.«
»Jetzt haben wir den Zauberspruch ganz umsonst gesucht«, schnaufen Mio und Pio völlig erschöpft und werfen den Fetzen Papier enttäuscht ins Gebüsch.

»Aber wartet mal. Ich wüsste, wer uns vielleicht helfen könnte«, meldet sich Paschinka zu Wort. »Silas. Silas Holzkopp kann uns etwas bauen.«
»Silas? Wer ist Silas?«, schauen die anderen achselzuckend in die Runde.
»Wartet es ab.« Der kleine Hund überlegt einige Sekunden und stammelt dann leise vor sich hin: »Wie ging Herrn Morgels Zauberspruch noch mal? … Thüringer Werkzeugdinger … seid willens … erfüllt Zweck? … Mist, es fällt mir nicht mehr ein.«

Plötzlich taucht neben Paschinka ein klitzekleines Hämmerchen auf. Kaum größer als ein Spielding. Es ist in der Tat Silas Holzkopp.

»Du hast nach mir gerufen? Was kann ich für dich tun?«, fragt dieser.
»Du bist es wirklich«, freut sich Paschinka und fällt dem kleinen Hammer um den Hals.
»Hrr-Hmm! Hrr-Hmm!«, krächzt Silas. »Ich bekomme keine Luft mehr.«
»Oje! Entschuldige, mein Lieber«, lässt der kleine Hund sofort von ihm ab. »Geht es wieder? Ich bin so froh, dich hier zu sehen.«
»Aber was möchtest du von mir?«, fragt der kleine Hammer nochmals nach. »Ich habe überhaupt keine Zeit, ich baue gerade mit meinem Meister an einem Modell-U-Boot«, spricht Silas. »Es ist fast fertig.«
»Was ist ein Modell-U-Boot«, will Emerald wissen.
»Ein Modell ist meist etwas Kleines von etwas Großem und ein U-Boot ist ein Unterseeboot«, antwortet Silas. »Damit kann man sich die Unterwasserwelt anschauen, ohne nasse Füße zu bekommen.«
»Das ist es«, ruft Paschinka laut heraus. »Damit kann Eddy auf dem Wasser schwimmen und sogar abtauchen.«
»Kannst du uns dieses Ding kurz ausleihen?«, fragen Mio und Pio. »Du musst doch bestimmt mal eine Probefahrt machen?«
»Probefahrt? Ja, sicher«, überlegt Silas. »Heute Nacht vielleicht, wenn mein Meister schläft.«
»Heute Nacht! Abgemacht!«, reicht Paschinka dem Hämmerchen die Pfote. »Wenn dein Meister eingeschlafen ist, treffen wir uns wieder hier. Bringe das U-Boot-Ding mit.«

Die Stunden bis zur Abenddämmerung vergehen nur sehr langsam. Langeweile kommt während des elenden Wartens auf. Zwischenzeitlich hatten Eddy und die anderen begonnen, Fangen, Verstecken und Blinde Kuh zu spielen. Müde und abgespannt hängen nun alle am Ufer des Teiches ab. Plötzlich raschelt es im Unterholz.

»Was macht ihr hier?«, will Lehrer Dachs wissen, der gerade aus dem Gebüsch geklettert kommt. »Habt ihr nichts Besseres zu tun, als hier herumzuhängen, und was stinkt hier so?«
»Was ist denn das hier?«, fragt Morgel, der dazu stößt und den Papierfetzen vom Waldboden aufhebt. »Das ist doch eine Seite aus meinen Zauberbüchern. Band 4, wenn ich mich nicht irre. Bloß, wie kommt dieses Blatt hierher?«
»Wir wollen doch alle dem Eddy helfen«, piepsen Mio und Pio, um schnell vom Zauberbuchblatt abzulenken.
»Eddy? Der kleine Otter von den Otterbachs?«, schaut Morgel sich um. »Der ist hier? … Eyers-maners-duers, noch einmal! … Seine Eltern suchen ihn bereits überall. Er soll wohl ausgebüxt sein.«
»Wobei wollt ihr ihm denn helfen?«, fragt Lehrer Dachs nach.
»Schwimmen und Tauchen muss er lernen«, antwortet Emerald. »Er soll so seine Panik vor dem Wasser überwinden.«
»So, so, das finde ich große Klasse von euch«, freut sich Morgel. »Seine Eltern haben sich bisher vergebens bemüht, ihm zum Schwimmen und Tauchen zu bewegen.«
»Das wird doch so oder so nichts«, stampft Eddy hinter einem Baum hervor. »Ich gehe. Für immer. Wirklich!«

Ein wundersames Gefährt

Plötzlich ist Silas zurück. Auf dem Teich schwimmt ein siebzig Zentimeter langes und etwa zwanzig Zentimeter breites Unterseeboot aus kupfern- und messingfarbenem glänzenden Metall.

Auf Hochglanz gewienert blitzt es im Mondlicht. Prächtig und mit allerlei Beschlägen und Verzierungen, als wäre es gerade einem Jules-Verne-Abenteuer entsprungen, liegt es auf dem Wasser. Die Einstiegsluke ist geöffnet. Der Elektromotor summt leise vor sich hin. Die an den Seiten hervorstechenden Bullaugen erinnern an ein grimmig dreinschauendes Seeungeheuer.

»Bitte einsteigen«, ruft Silas, »die Rundfahrt kann beginnen.«
»Da passe ich doch nie hinein«, ist Eddy irritiert. »Das Ding ist viel zu klein für mich.«
»Da hast du wohl recht«, muss Silas zugeben. »Es ist eben nur ein Modell und kein echtes U-Boot. Die sind ja sonst viel größer und würden nie und nimmer in diesen Teich hineinpassen.«
»Ich darf doch wohl bitten«, meldet sich empört das Unterseeboot zu Wort. »Ein Modell? … Ihr Einfaltspinsel! Ich bin so echt, echter geht es nicht.«
»Das Ding lebt und frisst uns am Ende auf«, spricht Eddy mit zittriger Stimme.
»So ein Quatsch!«, entgegnet das U-Boot. »Nun kommt schon! Die Batterien halten ja nicht ewig.«
»Man müsste Eddy verkleinern, so wie du es damals mit dem Zauberbuch gemacht hattest«, wirft Mio in die Runde.
»Aha, also ihr beide habt das Zauberbuch, Band 4 vom Tisch gemopst«, stellt Morgel fest. »Wo habt ihr es versteckt?«
»Es liegt in unserem Mauseloch und ist wieder riesig groß geworden«, schämen sich die beiden Mäuse. »Wir bekommen es dort nicht mehr heraus.«
»Nun ja, das klären wir später«, ist Morgel beruhigt. »Ich dachte schon, das Buch ist für immer verloren. … Aber das mit dem Verkleinern ist eine tolle Idee. Die könnte glatt von mir sein, wenn ich es richtig überlege.«
»Was hast du vor?«, fragt Lehrer Dachs.
»Wir machen eine Probefahrt«, antwortet Morgel. »Jetzt, sofort, ist doch klar. … Wir reisen zu sechst darin. Die beiden Mäuse fahren zur Strafe mit, dann natürlich Silas als Erbauer des U-Bootes, Paschinka, der auf diese glorreiche Idee kam, Eddy und ich.«
»Aber, was ist, wenn das Ding gar nicht dicht ist«, wehrt sich der kleine Otter. »Wir werden jämmerlich ertrinken.«
»Das Unterseeboot taucht sehr wohl«, meldet sich Silas zu Wort. »Es ist voll funktionstüchtig. Der Motor läuft, es ist wasserdicht und macht einen guten halben Knoten. Alles in der Badewanne des Meisters erfolgreich getestet.«
»Na bitte«, ist der Kobold erfreut. »Wenn Silas das sagt, dann ist es auch so.«
»Na, denn man tau, wie die Fischköpfe stets zu sagen pflegen!«, ruft Lehrer Dachs und klopft Morgel auf die Schulter, »oder besser noch: Ahoi!«

Morgel lässt Eddy und Paschinka neben sich aufstellen, schwingt seinen Zauberstab und spricht den Verkleinerungszauberspruch: »Mondeslicht und Sonnenschein, großes wird nun klitzeklein!«.

Mit einem Male schrumpfen die drei mehr und mehr zusammen. Wenige Sekunden später sind sie genauso winzig wie Mio, Pio und Silas.

»Boah, das ist ja mächtig gewaltig!«, staunt Eddy. »Und wie kommen wir jetzt in dieses Unterseeboot.«
»Na, mir scheint, deine Neugier ist nun doch geweckt«, freut sich Paschinka. »Wir benötigen eine Brücke, um dort hinüberzukommen.«
»Kein Problem!«, mischt sich Silas ein. »Ein Steg ist ruckzuck zusammengezimmert.«
Zwei kurze, laute Pfiffe und wie aus heiterem Himmel kommen ein Stapel Holzbohlen sowie etliche Rundpfosten angeflogen. Riesige Vorschlaghämmer rammen in Windeseile die Pfosten in den Schlick des Teiches, vernageln schnurstracks Querstreben dazwischen und legen eine Bohle nach der anderen auf dem Gerüst auf.
Mio und Pio können es nicht abwarten, endlich etwas von Emeralds Unterwasserwelt zu sehen. Während sich die letzten Holzbohlen auf den Steg vernageln lassen, flitzen die beiden Mäuse bereits darüber und auf das wundersame U-Boot zu.

»Viel Spaß«, wünscht Lehrer Dachs. »Da habt ihr bestimmt eine Menge zu berichten, wenn ihr wieder auftaucht.«
»Oh ja, das werden wir«, ruft Morgel ihm zu.
Einer nach dem anderen klettert durch das runde Einstiegsloch ins Innere des Unterseebootes. Silas steigt als Letzter zu und schließt hinter sich die schwere Einstiegsluke. »Vorsicht! Ihr befindet euch jetzt auf der Kommandobrücke«, warnt er. »Bitte nichts anfassen. Nur gucken.«

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Morgel, Eddy, Paschinka, Mio und Pio sind auf Silas seine Größe geschrumpft. Zusammen schauen alle zu, wie die thüringer Werkzeugdinger einen Steg aus Holz hinüber zum U-Boot-Modell bauen. Im hohen Bogen fliegen die Holzbohlen umher.

Der Innenraum ist von vorn bis hinten mit allerlei Instrumenten, Schaltern, Hebeln und blinkenden Anzeigetafeln vollgestopft. In der Mitte steht ein mit feinstem Leder gepolsterter Sessel mit hoher Lehne, von dem aus man all die vielen Dinge im Blick behält. Vor dem großen runden Panoramafenster befindet sich ein riesiges hölzernes Steuerrad. Warm ist es und es duftet nach gerösteten Nüssen. Das leise Summen des Motors lässt das Unterseeboot vibrieren. Winzige Wellen breiten sich rundherum auf dem Wasser aus.

Silas setzt sich auf den großen Kapitänsstuhl und spricht mit ruhiger Stimme: »Klaaarmachen zum Tauchen. Fluten und auf Sehrohrtiefe gehen.« Dann plötzlich ruft er lautstark und mit lang gezogenem Singsang: »Fluuuten!«
Eine sonderbare Stimme hallt durch den Raum und bestätigt den Befehl: »Fluuuten!«

Es zischt und brodelt mit einem Mal, als die Luft aus den Ballasttanks entweicht und das Wasser des Teiches hineinströmt. Das U-Boot setzt sich in Bewegung und taucht allmählich ab. Ringsum auf den Armaturenbrettern blinken zahlreiche Lichter auf und Hebel bewegen sich plötzlich wie von Geisterhand geführt von selbst. Die Zeiger der Manometer flitzen teils hin und her. Das Steuerrad beginnt, sich zu drehen. Das stetige Piepsen eines Sonars hallt durch das Boot. Es pfeift, gluckert und knackt allerorts beängstigend.
»Ich hoffe, das Ding bricht nicht auseinander«, flüstert Paschinka Morgel ins Ohr.

Emerald hüpft flugs dem U-Boot hinterher. Auch Gustav begibt sich aufs Wasser und paddelt ihm nach. Knut, der Riesenhecht, ist verwundert und dreht eilig ein paar Runden um das eigenartige glänzende Ungetüm herum. Doch als er den Morgel durch ein Bullauge im Inneren entdeckt, ist er beruhigt und treibt neugierig, aber wachsam, nebenher.

»Welchen Kurs sollen wir nehmen?«, fragt der kleine Hammer den Morgel.
»Am besten drehen wir erst einmal eine Runde durch den Teich, um Eddy die fantastische Flora und Fauna der Unterwasserwelt zu zeigen«, antwortet der Waldkobold.
»Halbe Kraft voraus«, ruft Silas dem U-Boot zu.
»Aye, aye, Sir«, bestätigt es. »Ihr dürft gerne Aquanautus zu mir sagen.«

Eine atemberaubende Reise

Eddy ist viel zu aufgeregt, um dem Treiben um ihn herum zu folgen. Er kneift seine Augen zu, klammert sich an zwei Haltegriffen fest und zittert wie Espenlaub am ganzen Körper. Mit leiser Stimme plappert er vor sich hin: »Das Ding hat auch noch einen Namen? … Musst du so rumschaukeln? Ich glaube, mir wird schlecht!«

»Atme erst einmal tief durch, dann wird es besser«, rät ihm Paschinka. »Komm, mach die Augen auf und schau dir die bezaubernde Unterwasserwelt an. So etwas habe ich auch noch nicht gesehen.«
»Ich traue mich nicht«, spricht der kleine Otter.
»Nun mach schon, wir sind ja bei dir«, beruhigen ihn Mio und Pio. »So toll haben wir uns das hier unten
nicht vorgestellt. Sieh nur, die vielen Blubberblasen, die da aufsteigen, jede Menge tanzendes Grünzeug und die bunt glitzernden Fische.«
Vorsichtig öffnet Eddy seine Augen. Erst blinzelnd, dann ein wenig mehr und zu guter Letzt reißt er sie weit auf und schreit laut heraus: »Boah, das ist ja fantastisch. So hatte es mir mein Bruder Ottokar beschrieben. Er hat nicht gelogen.« Geschwind geht Eddy auf das Panoramafenster zu, um es zu berühren. »Jetzt kann ich meine Eltern verstehen, aber wenn doch nur das Wasser nicht so nass wäre«, flüstert er vor sich hin.
»Nun genieße erst einmal die Fahrt und sehe dir alles in Ruhe an«, spricht Morgel und legt seine Hand auf Eddy Schulter. »Schau nur, wie die Schlingpflanzen geschmeidig emporschweben.«

Mit einem Mal wird es dunkel. Die eigene Hand sieht man nicht mehr vor Augen. Silas schaltet sogleich den großen Suchscheinwerfer an.

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Eddy und Morgel stehen am großen Steuerrad und schauen aus dem Panoramafenster auf die Unterwasserweld des Komstkochsteiches. Draussen schwimmen Knut, der Reisenhecht, und der Frosch Emerald vorüber.

Elegant gleitet das Unterseeboot zwischen den langstieligen Wurzeln der Seerosen hindurch, deren gigantische Blätter ein großes Stück des Teiches bedecken.

»Hallo, Eddy«, raunen die lieblichen Röschen dem kleinen Otter zu. »Wir freuen uns, dich hier zu sehen.«
»Hallo, liebe Seerosen«, grüßt er zurück. »Morgel, woher kennen die meinen Namen?«
Unzählige Forellen lugen unter dem Blätterteppich hervor. Ihre Augen leuchten im Scheinwerferlicht.
»Hallo, Eddy«, rufen die Fische. »Wir freuen uns, dich hier zu sehen.«
»Hallo, liebe Forellen. Morgel, woher kennen die mich?«
»Schau nur, dort unten im Schlick dümpeln Karpfen vor sich hin«, zeigt Morgel, »und da flitzt ein Aal vorüber.«
»Das ist doch eine Schlange«, sind Mio und Pio fasziniert.
»Hallo, Eddy«, ruft der Aal. »Ich freue mich, dich hier zu sehen.«
»Hallo, lieber Aal«, erwidert der kleine Otter. »Morgel, warum grüßen die mich alle?«

»Alle hier haben von deinem Kummer gehört«, antwortet der Kobold dem kleinen Otter auf seine vielen Fragen. »Deine Familie ist nun mal ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft. Dein persönliches Schicksal geht uns alle an.«
»Das ist ja erstaunlich«, bemerkt Eddy. »Wieso sind die so freundlich zu mir.«
»Deine Eltern waren heute Morgen überall unterwegs und suchten nach dir. Daher freuen sich alle, dass es dir gut geht«, erklärt Morgel dem kleinen Otter. »Dein Bruder hat sich große Sorgen gemacht, dass dir etwas zugestoßen sein könnte. Er hat dich in letzter Zeit sehr hart rangenommen. Dafür möchte er sich bei dir entschuldigen.«
»Wenn das so ist, dann möchte ich lieber wieder nach Hause gehen. Ich will nicht, dass jemand meinetwegen traurig sein muss«, ist Eddy beeindruckt. »Es ist so toll hier unter Wasser, da werde ich mir ein Herz fassen und doch schwimmen und vor allem tauchen lernen.«
»Gut so, mein Kleiner«, freut sich der Waldkobold. »Und nun will ich dir einige Orte zeigen, die man nur über eine unterirdische Grotte erreichen kann. Du darfst gespannt sein.«
»Au ja, auf das Abenteuer freue ich mich«, ist Eddy überglücklich. »Darf ich auch mal lenken?«
»Wir wollen es mal nicht übertreiben«, winkt der kleine Hammer ab. »Wo soll es denn hingehen?«
»Silas, folge Knut, dem Riesenhecht«, gibt Morgel als Kurs vor. »Er wird uns durch das unterirdische Labyrinth leiten.«
»Aye, aye, Sir!«, bestätigt der kleine Hammer. »Also Aquanautus, folge dem Hecht.«
»Aye, aye!«, raunt das Unterseeboot.

Ohne Umwege nimmt Knut Kurs auf das dichte Schilf. Dort inmitten befindet sich die tiefste Stelle des Teiches. Aquanautus folgt ihm. Es wird dunkel und dunkler. Immer weiter geht es hinunter in den Berg.
Wie aus dem Nichts öffnet sich vor den Scheinwerfern ein magisches Tunnelportal. Es mündet in einen finsteren Unterwasserweg, den offenbar noch nie ein Sonnenstrahl erhellt hat.
Wenige Minuten lang schippert das Unterseeboot durch den gewundenen Höhlengang, bevor es in eine unterirdische Grotte einfährt.

»Klarmachen zum Auftauchen!«, befiehlt Morgel. »Auf Sehrohrtiefe gehen. Wir machen hier Rast.«
»Aye, aye, Sir!«, bestätigt Silas und ruft lautstark und lang gezogen: »Annnblasen!«
Aquanautus antwortet ihm: »Annnblasen! Druckausgleich wird hergestellt. Auf Sehrohrtiefe gehen.«
Pfeifend und zischend strömt Luft unter gewaltigem Druck in die Ballasttanks ein. Das U-Boot taucht allmählich auf und gewinnt nach und nach an Höhe.

»Komm, du darfst mal durchschauen«, spricht Morgel. »Was siehst du?«
»Eine Höhle. Riesig groß«, ist Eddy erstaunt und führt das Sehrohr mehrmals um seine Achse.
»Das ist die Morgelhöhle. Wir befinden uns direkt unterhalb der Hohen Wurzel. Nur wenige kennen diesen Ort. Es gibt einen direkten Zugang zu unserer Wurzelhöhle, da wo du heute Morgen gefrühstückt hattest«, verrät der Kobold.
»Diese Höhle steckt also hinter der zweiten Tür ohne Knauf und Schloss«, stellt Mio fest. »Das ist der Zugang zur Grotte.«
»Wir haben uns schon immer gefragt, wo die Pforte hinführt«, fügt Pio hinzu.
»Oh, die Tür führt nicht nur hinunter zur Grotte, sondern auch über Höhlengänge zu anderen Orten in der Gegend«, erklärt Morgel. »Sie schleust uns hinauf zum Baldrichstein, hinüber auf den Geizenberg, direkt ins Reinhardsbrunner Märchenschloss und auch zur Marienglashöhle. … Nun lasst uns hier aussteigen.«

Aquanautus taucht weiter auf, legt an einem kleinen Steg an und öffnet automatisch die Turmluke. Die sechs steigen einer nach dem anderen aus dem U-Boot und hüpfen an Land.

Die Höhle erscheint riesig groß. Die hohen Wände schimmern grünlich-gelb. Allerorts rinnen kleine Bäche am Felsen herunter. Eine kühle Brise weht durch die Halle. Es duftet nach nichts. Das Wasser ist glasklar und lässt den Ausblick bis zum Grund des Sees zu.

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Das Bild zeigt die große Morgelgrotte, welche sich unterhalb des Morgelwaldes befindet. Das U-Boot hat angelegt und die Insassen werfen einen Blick auf die vielen Fledermäuse und den gigantischen Wasserfall. Paschinka entdeckt die geheime Treppe hinauf zur Wurzelhöhle.

»Die ist ja gigantisch groß. Huhu!«, staunt Eddy, dessen Stimme durch die Grotte hallt. »Was sind das für kleine Drachen dort oben?«
»Das sind Fledermäuse. Aber Du hast recht, mir kommt die Höhle heute auch viel höher vor«, bestätigt Morgel. »Ach ja, ich Dummerchen vergaß, wir drei sind doch geschrumpft. Daran wird es wohl liegen.«
»Eben, ihr Winzlinge«, frotzelt Mio mit piepsiger Stimme.
»Auf Mausgröße oder so ähnlich«, stimmt Pio mit ein und schaut hoch an die Decke. »Das sind doch keine Mäuse dort oben. Mäuse mit Flügeln, so etwas Doofes habe ich ja nie gehört. Und dann hängen die kopfüber herunter und kacken sich dabei auch noch voll. Das sind kleine Drachen.«
»Gibt es denn hier Drachen oder Geister?«, möchte der Otter wissen.
»Heute nicht mehr … glaube ich«, beschwichtigt ihn der Kobold, »früher schon, gute wie böse. Davon werde ich euch aber ein andermal erzählen.«
»Hier ist eine sehr steile Treppe«, ruft Paschinka. »Wo führt die hin?«
»Direkt hinauf zu unserer Wurzelhöhle«, weiß Morgel zu berichten. »Lasst uns aber lieber weiterfahren. Ich zeige euch jetzt eine wunderschöne Kristallhöhle. Dort können wir mit dem Unterseeboot hineinfahren.«

Nachdem alle wieder eingestiegen sind, taucht das U-Boot ab und nimmt Kurs auf die Marienglashöhle. Es gleitet tief hinab, um anschließend in einen weiteren dunklen Höhlengang einzufahren. Erst fährt Aquanautus nach links, dann wieder nach rechts, mal muss es aufsteigen, mal wieder absteigen.
Nach einer ganzen Weile ist von Weitem ein grell blitzendes Licht zu erkennen. Es kommt näher und plötzlich fährt das Unterseeboot mitten hinein in eine bunt, leuchtete Kristalldruse. Wechselnde Farben erhellen die Höhle, mal grün, mal blau und dann wieder schlohweiß. Stimmengewirr und Musik sind zu hören und hallen durch die Gänge. Hier und da huscht jemand lautstark über die eisernen Stege.
»Viel zu viele Leute heute hier. Wir müssen ein andermal wieder hierherkommen«, rät Morgel, welcher das U-Boot mit all seinen Insassen schnell hat unsichtbar werden lassen, um nicht entdeckt zu werden. »Am besten tief nachts, wenn alles schläft.«
»Glaubst du, die können uns sehen?«, fragt Eddy.
»Du Dummerchen«, erwidert Mio, »Wir sind doch längst nicht mehr zu sehen.«
»Wir sind unsichtbar?«, ist der kleine Otter erstaunt.
»Sieh nur, ich kann Grimassen schneiden«, frotzelt Pio, »und die dort oben bekommen es nicht einmal mit.«
»Darf ich so einen Glitzerstein haben?«, möchte Eddy freudestrahlend wissen. »Die Steine funkeln so schön.«
»Natürlich nicht«, spricht Paschinka. »Alles muss so bleiben, wie es ist, sagt Lehrer Dachs immer.«

Die Sechs setzen ihre Reise durch die Unterwasserwelt fort. Ihr Weg führt sie zurück zur Grotte, um dann scharf links in einen dritten unterirdischen Höhlengang einzufahren.
»Wo geht es hierhin?«, ist Eddy neugierig.
»Lass dich überraschen, mein Kleiner«, antwortet Morgel. »Bitte, habe noch etwas Geduld.«

Ein noch dunklerer Höhlengang tut sich vor ihnen auf. Knut schwimmt wieder vorneweg. Er kennt sich gut aus, hier unten. Es wird eine lange Fahrt.

Unterhalb des Gemeindekopfes wird es stellenweise sehr eng. So eng, dass das winzige U-Boot gerade noch so hindurchpasst. Die Höhlenwände sind mancherorts mit Moosen bedeckt und hier und da huschen kleine Aale umher.
Wenige Stunden später durchfährt das U-Boot ein weiteres magisches Tunnelportal. Diese führt sie wieder an die Oberfläche. Mittlerweile hat die Morgendämmerung eingesetzt. Gespannt schauen alle durch das große Panoramafenster nach draußen.
Rasant geht die Fahrt in einem kleinen Bach weiter. Quellabwärts, reißt es das Unterseeboot mit der Strömung mit. Silas hat Mühe, das Schiff auf Kurs zu halten. Rechts und links erheben sich hohe Wände aus Schilf, Sträuchern und Bäumen. Gefährliche Strudel wirbeln das Unterseeboot hin und her und lassen es im Kreis tanzen. Eine Weile treibt es rückwärts, dann wieder vorwärts, bis sich die Schiffsschraube letztlich in einer klebrigen Schlingpflanze verfängt und das U-Boot abrupt zum Stehen kommt.

»Wo sind wir hier?«, möchte Paschinka wissen.
»Im Otterbach. Wir stecken fest«, gibt Silas genervt von sich. »Wir kommen kein Stück mehr vorwärts oder rückwärts.«
»Boah, hat das geschaukelt«, ist Mio ganz benommen.
»Sag es keinem weiter, aber ich habe dahinten in die Ecke gebrochen«, flüstert Pio Mio ins Ohr.

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Silas Holzkopp ist bemüht, die Antriebsschraube des U-Bootes mittels eines Bootshakens von einer Schlingpflanze zu lösen.

»Wir müssen aussteigen und den Schiffspropeller von den Schlingen befreien«, rät Morgel.
»Draußen an Deck ist ein Bootshaken befestigt«, spricht Aquanautus, »den könnt ihr dafür nutzen.«

Mühsam stochert Silas mit dem Haken an der Schiffsschraube herum. Doch die mächtige Wasserpflanze lässt sich nicht abtragen. Immer fester zieht die Schlinge an, je mehr auf sie eingestochen wird.

»Nun lass endlich los, du dummes Ding«, schimpft der kleine Hammer und pickt mit dem Bootshaken am Heck des U-Bootes herum.
»Halt ein, halt ein! Du tust mir weh«, ruft eine zarte Stimme. »Ihr wäret gekentert, hätte ich euch nicht vertäut.«
»Vertäut? Gekentert?«, wundert sich Silas. »Ist das so? Da muss ich mich wohl bei dir entschuldigen, meine Lebensretterin?«
»Bitte, gern geschehen«, antwortet die Pflanze. »Ihr bewegt euch auf einen sehr lebhaften Strudel zu. Ihr müsst mit eurem wundersamen Gefährt ganz weit links am Rand entlangfahren, um nicht erfasst zu werden.«
»Gut zu wissen«, bedankt sich Morgel, der zur Luke herausschaut, »wir werden es beherzigen. Doch lasst uns nun mit dem U-Boot weiterfahren.«

Kaum sind alle wieder zugestiegen und zur Weiterfahrt bereit, wird es dunkel im Inneren des Unterseebootes. Ein gruseliges, schwarzes Auge blickt plötzlich neugierig durchs Panoramafenster. Groß und unheimlich. Doch dann auf einmal sind lautes Gelächter zu hören und Rufe. Es ist Ottokar, Eddys Bruder, der da von draußen hereinschaut.

»Eddy«, fragt er, »bist du da drinnen in dieser Blechdose? Was machst du da?« Dann hebt Ottokar das komische Blechding hoch und schüttelt es, um seinen kleinen Bruder herauszuholen.
»Stopp!«, ruft Eddy. »Stelle Aquanautus sofort wieder aufs Wasser. Hörst du? Du wirst doch Herrn Morgel nichts tun wollen?«
»Lass mich gefälligst los«, schimpft das U-Boot mit ächzender Stimme.
Abermals schaut Ottokar durchs Fenster. Schnell setzt er das U-Boot zurück, als er den Morgel und auch Paschinka darin entdeckt. »Oje, Entschuldigung«, spricht der kleine Otter. »Das habe ich nicht gewollt. Aber ihr seid alle so winzig.«
»Schon gut, Ottokar«, meldet sich Morgel zu Wort. »Wir sind auf einer besonderen Reise zum Otterbachsteich. Willst du uns voraus geleiten? Sag deinen Eltern, wir bringen ihren Sohn zurück nach Hause.«
»Aber gewiss doch«, freut sich Eddys Bruder. »Ihr seid bald da.«

Ein herzergreifendes Wiedersehen

Mit einem Satz sprintet Ottokar los und räumt alles beiseite, was die Fahrt des kleinen Unterseebootes behindern könnte. Jeden Stock und jeden Stein liest er auf und wirft ihn ans Ufer. Schon von Weitem ruft er seinen Eltern, Otto und Ottilie, zu, dass der verlorene Sohn wieder zurückgekehrt ist. Freudestrahlend und überglücklich schwimmen die beiden dem Boot entgegen.
An einem kleinen Steg macht Aquanautus stopp und legt sanft an. Die Turmluke öffnet sich von selbst und die sechs Insassen steigen einer nach dem anderen aus.

»Eddy, Eddy«, ruft Ottilie, seine Mutter. »Oje, was ist passiert? Bist du etwa eingelaufen? Bist du krank? Wie winzig und abgemagert du aussiehst.«
»Schon gut, Mutter, das ist der Verkleinerungszauber des Herrn Morgel«, erwidert der kleine Otter. »Ist das nicht fantastisch. Sicher macht uns der Morgel gleich wieder groß.«
»Seid gegrüßt, liebe Otterfamilie«, spricht Morgel, schwingt seinen Zauberstab und sagt den Vergrößerungszauber auf: »Hefekloß und Pflaumensoß, klitzeklein wird wieder groß!«.
»Passt auf, gleich wachse ich«, staunt Eddy.
Im Nu haben Eddy, Paschinka und Morgel wieder ihre alte Größe angenommen. Sogleich fällt Ottilie ihrem Sohn um den Hals und auch Otto lässt es sich nehmen, die beiden in seine Arme zu schließen.

»Es tut mir leid. Dass ich ausgebüxt bin«, schluchzt Eddy. »Das mache ich bestimmt nie wieder. Versprochen!«
»Wir können das gut verstehen«, tröstet Otto seinen Sohn. »Unseretwegen musst du nicht Schwimmen und Tauchen lernen.«
»Aber das will ich doch«, schreit Eddy frei heraus. »Die Unterwasserwelt ist so wunderschön. Herr Morgel hat mir die Augen weit geöffnet. Ottokar, du hattest recht, das muss man gesehen haben. Bitte lerne mir das Schwimmen und das Tauchen. Ich wünsche es mir so sehr.«
»Aber das brauchst du doch gar nicht mehr lernen, das ist dir angeboren, du musst dich nur trauen«, erwidert Ottokar und springt mit einem Satz in den Teich. »Komm, wage es. Du wirst spüren, das Wasser ist nicht dein Feind, im Gegenteil, es ist dein Freund.«
»Nun mach schon, du schaffst das, wir passen alle auf dich auf«, ruft Roberta, die schwarze Schwänin, Eddy zu.
»Jawohl, ja!«, stimmt der junge Graureiher Nico mit ein, »ich fische dich schon wieder raus, bevor du untergehst.«

Nach kurzem Zögern und einem fragenden Blick hinüber zu seinen Eltern wagt er den Sprung ins kalte Nass. Er bringt sich in Position, hebt die Arme, holt tief Luft, schließt seine Augen und hüpft im hohen Bogen kopfüber hinein. Ottokar setzt ihm sofort nach und beide bleiben minutenlang unter Wasser.

Bildinhalt: Morgelgeschichte 10 - Morgel und die Abenteuer im U-Boot - Eddy und sein Bruder Ottokar tummeln sich im Wasser des Otterbachteiches. Deren Eltern, der Morgel, Paschinka, der Graureiher Nico und die Schwänin Roberta schauen erfreut dabei zu. Libellen huschen lustig umher.

»Das ist so toll! Ich kann schwimmen, ich tauche«, blubbert Eddy seinem Bruder zu und verschluckt sich dabei. »Ich will nie wieder zurück an Land«, hustet er angestrengt heraus.

Das erste Mal spürt er, wie das Wasser durch sein dichtes Fell strömt. Es kitzelt. Er fühlt sich leicht, wie eine Feder und das elegante Hin- und Herbewegen seines flachen Schwanzes treiben ihn flink an.
Ottokar nickt ihm zu. Die beiden drehen gleich mehrere Runden und Eddy sieht das erste Mal die wunderschöne Unterwasserwelt seines kleinen Otterbachsteichs und ist überglücklich. Er schwimmt hinauf zur Oberfläche und taucht hinab auf den Grund, so, als hätte er nie etwas anderes getan.

»Wir danken dir, lieber Morgel, dass du unseren Sohn wieder zurückgebracht hast«, freut sich Ottilie.
»Das ist in erster Linie der Verdienst des kleinen Paschinkas und natürlich auch der von Silas Holzkopp und seinem U-Boot Aquanautus«, gibt der Kobold den Dank weiter.
»Wir haben auch geholfen«, mischen sich Mio und Pio ein.
»Aber sicher, ihr auch und Knut und die vielen anderen, die zu Hause geblieben sind«, gibt Morgel den beiden recht. »Und nun lasst uns wieder heimkoboldieren, zu unserer Wurzelhöhle und an den schönen Komstkochsteich.«
»Es war uns eine Ehre«, verbeugt sich Paschinka vor Eddys Eltern.
»Auf Wiedersehen«, rufen die beiden Mäuse.
»Vielen Dank dir, Silas, und dir, Aquanautus. Es war ein wirklich märchenhaftes Abenteuer. Aber nun müsst ihr wieder nach Hause zu eurem Meister«, spricht Morgel.
»Wir danken euch, dass ihr uns gerufen habt«, erwidert Silas. »Die Thüringer Werkzeugdinger und ich sind euch immer gern zu Diensten.«
»Ich entlasse euch nun mit dem Spruch:

Dank gebührt euch, ihr Werkzeuggeister,
geht, euer Werk für heut ist vollbracht.
Kehret heim, zu euer Handwerksmeister,
dient ihm stets mit Freud und Bedacht.«

Nachdem Silas und Aquanautus verschwunden sind, holt Morgel sein Tastending aus der Tasche und drückt auf die Wurzelhöhlentaste.

Zu Hause angekommen, lässt Morgel sogleich das in der Mausstube eingeklemmte Zauberbuch schrumpfen und fingert es durch das kleine Mauseloch heraus. Dann holt er den Papierfetzen aus seiner Manteltasche, streicht diesen glatt und legt ihn zwischen die Buchseiten. Eine winzige zischende Flamme wandert wie von Geisterhand geführt an dem Riss entlang. Im Nu ist das Blatt wieder mit dem Buch verbunden. Mit einem kräftigen Hieb schlägt er das Zauberbuch zu, lächelt Mio und Pio kurz an und verschwindet wortlos in seiner Koboldstube.

Ende!

Was Morgel über die Geister in der Grotte und anderswo zu erzählen hat, erfährst Du in einer der nächsten Geschichten, die sicher irgendwann einmal auch für Dich hier erzählt wird. Bleib voller Neugier!

Erfahre mehr über die Figuren, Dinge und Orte in den Morgelgeschichten.
Erfahre mehr über den Autor und Illustrator der Morgelgeschichten.

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7 Kommentare:

  1. Ganz lieben Dank für diese schöne Geschichte. Sie macht auf jeden Fall neugierig.

  2. Hallo Jens.
    Danke für die Geschichte unserem Oskar und uns hat sie sehr erfreut. Wir sind schon sehr gespannt auf Band 2, Band 1 haben wir schon fertig gelesen. Fast jeden Abend ein paar Seiten vor dem Einschlafen.
    Grüße von Oskar

  3. Fabelhaft, unbedingt lesen!

  4. Herzlichen Dank für diese Geschichte, die ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Toll geschrieben. Ich fühlte mich sofort in eine andere Welt versetzt. Sehr gut zum Abschalten und spannend für Kinder und Erwachsene.
    Viele Grüße und Danke.

  5. Hiersemann Gabriela

    Vielen Dank für die kleine Reise ins Morgelland. Auch wenn man die Anfänge der Geschichten nicht kennt, findet man sich schnell hinein und fühlt sich sozusagen wie „zuhause“.
    Nochmals vielen Dank, ich habe mich köstlich amüsiert.

    Liebe Grüße

  6. Vielen Dank für die Geschichte. Sie macht neugierig zu erfahren, ob sich Eddy doch noch ins Wasser traut.

  7. Irene Kornwolf

    Die Geschichte zum Geburtstag geschenkt zu bekommen, dass hat mich sehr gefreut. Aktuell hatte ich meinen Geburtstag mit meinen Groß-Groß-Nichten und Neffen verbracht. Sobald diese ins lesefähige Alter kommen, werde ich ihnen sicher eine Morgelgeschichte einmal schenken.

    Alles Gute

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